Ich gebe es zu: Ich habe mich vor EM-Beginn kaum für Frauenfussball interessiert. In Vergleichen mit Männern und Knaben schneiden die Kickerinnen bekanntlich schlecht ab. Wieso sollte ich ein medial gepushtes Turnier schauen, das vom Niveau her bestenfalls einer U15-Schweizer-Meisterschaft entspricht?
Nun, ich habe meine Meinung geändert. Ich habe schon zwei EM-Spiele der Frauen-Nati geschaut und dabei eine schöne Vater-Tochter-Zeit erleben dürfen. Bisher hat meine Tochter das Hobby Fussball fast gänzlich meinem Sohn und mir überlassen. Gestern fragte sie mich, was ich denn am Freitag um 21 Uhr vorhabe. Klar, das Viertelfinale gegen Spanien steht an – das lasse ich mir nicht entgehen! Denn die Spielfreude des Schweizer Teams um Wälti, Reuteler und Co. hat mich gepackt. Das ist noch Fussball ohne grosses Stargehabe. Fussball, der mir gefällt.

Nun habe ich mir sogar das Buch "Das Recht zu kicken – die Geschichte des Schweizer Frauenfussballs" aus dem Hier und Jetzt Verlag gekauft, das rechtzeitig zur EM erschienen ist und dessen Recherche bestimmt nicht einfach war. Im Gegensatz zu England oder Frankreich gibt es in der Schweiz nämlich nur spärliche Belege für Frauenfussball vor dem Zweiten Weltkrieg. Gemäss den Autorinnen führte 1923 eine gewisse Francesca "Florida" Pianzola in Genf eine Gruppe namens "Les Sportives". Die Spuren verloren sich jedoch bald.
Das Buch unterteilt den Schweizer Frauenfussball in vier Phasen: die Pionierinnenphase (bis 1970), die Phase der Institutionalisierung (bis 1993), jene der Etablierung (bis 2015) und letztlich
jene der Konsolidierung und Sichtbarkeit.
"Grazile Schweizerin – korpulente Österreicherinnen…"
Schon krass, mit welchen Augen die (männliche) Gesellschaft den Frauenfussball einst betrachtete. Als 1970 in Schaffhausen das erste Länderspiel anstand und die Schweizerinnen ihre Kolleginnen aus Österreich mit 9:0 vom Platz fegten, konzentrierte sich die mediale Berichterstattung auf Äusserlichkeiten. Die "Schaffhauser Nachrichten" lobten Verteidigerin Trudi Moser als "hübsch, langbeinig und grazil", während die "Gazette de Lausanne" von "korpulenten Österreicherinnen" berichtete, die den "unästhetischen Aspekt des Frauenfussballs veranschaulichen".
Auch die Frauenfussball-Schlagzeilen im "Blick" handelten im vergangenen Jahrhundert nicht von sportlichen Leistungen, sondern davon, ob es der talentierten Juniorin Madeleine Boll erlaubt sein soll, mit den Buben zu kicken (1965). Oder von einem angeblichen "Sex-Skandal", als das Frauenteam des FC Wettswil-Bonstetten wegen zu vielen lesbischen Spielerinnen aufgelöst wurde (1994), was in der Folge auch dem Schweizer Fernsehen etliche Beiträge wert war. Die Sendung "Club" diskutierte über "Lesben im Damenfussball: Angst vor homosexueller Ansteckung?"
Nebst solchen und weiteren Anekdoten und Fakten beinhaltet "Das Recht zu kicken" zahlreiche Bilder sowie Interviews mit Fussballpionierinnen. Ich bin gespannt, welches Kapitel des Schweizer Frauenfussballs am kommenden Freitag geschrieben wird.
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