In der Serie "Heute minus 100 – Kurzgeschichten aus der Wirtschaft" erzählen wir wöchentlich eine Anekdote, die sich vor genau
hundert Jahren ereignet hat.
Wie lieben Geschichten. Manche haben wir bei der Erstellung von Firmenchroniken – unserer täglichen Arbeit – selbst geschrieben, auf andere sind wir in alten Zeitungen und Büchern, auf Wikipedia
und Firmenwebsites gestossen. Gerade das Internet ist voll von Geschichten. Man muss sie nur finden…
⬇️ Viel Vergnügen beim Lesen ⬇️
Was ist der bequemste und angenehmste Tourenproviant und gehört in jeden Rucksack? 1925 war es – gemäss Werbung – der Gerberkäse. Zuerst in Blechdosen für feuchtwarmes Klima bestimmt, trat er als Emmentaler Schachtelkäse den Siegeszug an.
🚗🗼💡 In der heutigen Folge blicken wir über die Landesgrenze, nach Frankreich, wo vor genau hundert Jahren eine sehr anspruchsvolle Co-Produktion von Ingenieur Fernand Jacopozzi und Automobilhersteller André Citroën ihren Höhepunkt fand. Nachdem schwindelfreie Hochseilakrobaten und Zirkusartisten in luftiger Höhe mehr als 250'000 Glühbirnen am vielleicht berühmtesten Gebäude der Welt befestigt hatten, kam der Moment der Wahrheit: Anlässlich der Eröffnung der internationalen Kunstgewerbeausstellung wurden die Glühbirnen mit Strom versorgt. Von einer Sekunde auf die andere wurde es hell und nach verschiedenen Lichtbildern erstrahlte schliesslich der Citroën-Schriftzug am Eiffelturm.
😲 Die Aktion erreichte ein Millionenpublikum. Während die Illumination noch aus 40 Kilometern Entfernung zu sehen war, liess es sich André Citroën nicht nehmen, das Spektakel mit seiner Familie aus nächster Nähe zu verfolgen.
🏟️ Der Eiffelturm als Litfass-Säule – im 21. Jahrhundert undenkbar, sagen Sie? Vielleicht. Im Grunde läuft es heute aber nicht viel anders, tragen doch immer mehr prominente Bauwerke (insbesondere Fussballstadien) die Namen finanzkräftiger Firmen. Auch in der Schweiz.
Was ist der bequemste und angenehmste Tourenproviant und gehört in jeden Rucksack? 1925 war es – gemäss Werbung – der Gerberkäse. Zuerst in Blechdosen für feuchtwarmes Klima bestimmt, trat er als Emmentaler Schachtelkäse den Siegeszug an.
🧀 Nach jahrelanger leidenschaftlicher Forschung und etlichen mühevollen Versuchen gelingt es der Gerber & Co. AG Thun 1911 erstmals, den Emmentaler Käse ohne wesentliche Veränderung seines Geschmacks so herzustellen, dass er ohne Kühlung haltbar ist.
💣 Der Schmelzkäse – aufgrund seiner Verpackung oft Schachtelkäse genannt – ist eine Weltneuheit, welche an der Schweizerischen Landesausstellung 1914 in Bern mit Stolz präsentiert wird. Ungünstig ist, dass während der Ausstellung der Erste Weltkrieg ausbricht.
💰 Dennoch findet der Schmelzkäse internationalen Absatz. Zahlreiche ausländische Firmen bestellen grosse Mengen der Weltneuheit – nicht zuletzt, um hinter das Geheimnis dieser Innovation zu kommen. Auch in der Schweiz finden sich bald Nachahmer.
🚛 Nach dem Krieg ist die Schmelzkäseherstellung einem starken Preisdruck ausgesetzt. Es bildet sich ein Kartell, das sich 1925 zum Verband Schweizerischer Emmentaler Schachtelkäsefabrikanten (SESK) weiterentwickelt. Alle Fabrikanten zusammen produzieren zu diesem Zeitpunkt bereits 3,5 Millionen Kilogramm pro Jahr. Sie übertreffen damit die uralte und weltbekannte Glarner Schabziger-Industrie um ein Vielfaches – auch in Sachen Exporten.
🌴 Wie aus einem NZZ-Artikel aus dem Jahr 1925 hervorgeht, war der Schmelzkäse zunächst in Blechdosen verpackt worden, ehe eine Holzverpackung und schliesslich eine Kartonschachtel folgte. Er war für "tropisches Klima" bestimmt und für Gebiete, die sich transportbedingt nicht für den Handel mit grossen Käselaiben eigneten.
🎒 Laut Inserat vom 25. Juni 1925 in der Schweizer Illustrierten ist der Gerberkäse die ideale Zwischenverpflegung für Wanderungen – "wohlschmeckend, leicht verdaulich und von höchstem Nährwert"!
Wir sind im Jahr 1900, die Automobile kommen auf und die ersten (auswärtigen) Lenker brausen "mit Schnellzugsgeschwindigkeit" von gut 20 Stundenkilometern durchs schöne Bündnerland. "Wir brauchen keine fremden Autoprotze!", sagt sich die Regierung und verbietet kurzerhand das motorisierte Fahren auf sämtlichen Strassen des Kantons. Es war ein schweizweit einzigartiger Entscheid, ja sogar ein europäisches Kuriosum. Die Autobefürworter nahmen in der Folge zahlreiche Anläufe, das Verbot aufzuheben, bissen jedoch auf Granit. Erst heute vor genau hundert Jahren wurden sie erlöst.
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Waren dreissig Jahre zuvor weltweit erst etwa tausend Automobile in Betrieb gewesen, so fuhren im Frühling 1925 auf den Strassen West- und Mitteleuropas bereits mehr Motorräder als Reitpferde, mehr Personenwagen als Kutschen und mehr Lastwagen als Fuhrwerke.
❌ Nicht so im flächenmässig grössten Kanton der Schweiz. Immer und immer wieder hatten sie es versucht. Mit Ausnahme eines bewilligten kurzen Provisoriums waren die Autobefürworter bei Volksabstimmungen in Graubünden stets gescheitert.
✔️ Am 21. Juni 1925 – gerade mal fünf Monate nach der letzten Automobilabstimmung – fand das Ja-Lager endlich eine knappe Mehrheit an der Urne. Den so lange verpönten und boykottierten Autos stand fortan ein Grossteil der Bündner Strassen offen.
💡 Das Einlenken nach einem Vierteljahrhundert hartnäckigen Widerstands hatte auch mit einer bevorstehenden eidgenössischen Regelung zu tun, wie die Neue Bündner Zeitung in ihrer Berichterstattung schrieb: "Die Erkenntnis, dass es unnütz sei, länger dem Rad der eilenden Zeit in die Speichen fallen zu wollen, brach durch. Sie rang sich mühsam von der widerstrebenden Seele."
❓ Doch wie konnte es sein, dass der Kanton Graubünden den offensichtlichen Trend so lange unterdrückte? Nun, viele Zeitgenossen sahen in den "neuartigen Benzinkutschen" unerwünschte Eindringlinge in eine "friedliche Oase". Ausserdem wirbelten die motorisierten Gefährte auf den damals noch unbefestigten Strassen viel Staub auf – ein Ärgernis in allen Schweizer Kantonen. Hinzu kamen der Lärm, der Gestank und das vergleichsweise hohe Tempo, welches sich die Menschen nicht gewohnt waren und als Gefahr einstuften. 📢🌴💨
❗ Ein weiterer Grund für den Sonderfall Graubünden lag in der aussergewöhnlichen Möglichkeit der Bevölkerung – wenn auch nur der Männer – zur politischen Partizipation. Über den Fortbestand, die Aufhebung oder Anpassung des Automobilverbots fanden zwischen 1907 und 1925 nicht weniger als zehn Urnenabstimmungen statt!
Post-Schang war ein Oberaacher Dorforiginal. Als nimmermüder Posthalter half er auch seiner Mutter Lina beim Führen des Restaurants "Zur Post". Die Mutter, einst Dorfhebamme, bewies ihrerseits langen Atem: Noch mit über 90 Jahren begrüsste sie die Gäste. Diese Anekdote handelt allerdings eher vom Verabschieden…
Womöglich als erste Gemeinde im Thurgau verfügte Oberaach schon 1881 über eine eigene Telefonstation, also einen öffentlich zugänglichen Ort zum Telefonieren. Dieser befand sich zuerst in einem Büro in einer Stickerei, ehe er in die neue Post wechselte. Bis sich Privathaushalte einen Telefonapparat leisten konnten, sollte es noch etliche Jahre dauern. 1911 waren erst elf Oberaacher als Abonnenten im Telefonbuch eingetragen.
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📯 In den 1920er-Jahren baute der Posthalter im Postgebäude eine Vermittlungszentrale ein, die von zwei Schwestern bedient wurde. Sie hatten die Aufgabe, durch „Kabel-Stöpseln“ die Buchsen von Anrufer und gewünschtem Teilnehmer zu verbinden. Telefonisch eingehende Nachrichten zu übermitteln, war hingegen Sache des Posthalters selbst. Dieser hiess Jean Ackermann, wurde im Dorf aber nur Post-Schang genannt.
„Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, telefonische Aufträge gegen Entgelt von zehn Rappen bei jeder Witterung und zu jeder Jahreszeit in den entferntesten Hof zu tragen“, war später in seinem Nachruf zu lesen. Gerne war er mit dem Fahrrad unterwegs. 🚲
🍺 Ferien zog der zähe Junggeselle nie ein. Lieber half er seiner Mutter beim Betreiben des Restaurants „Zur Post“. Die engagierte Wirtin Lina Ackermann stand bis wenige Tage vor ihrem Tod im 91. Lebensjahr in der Wirtschaft. Einige Jahre früher, vielleicht war es 1925, kehrten wieder einmal die Turner bei ihr ein. Bei der Verabschiedung schmeichelte sie den jungen Burschen: „Guet Nacht, die Herre. Wünsch dene Herrschafte en schöne Obed und säg villmol Dank. Hoffentlich isch alles recht gsi und chömed bald wieder, ihr Herre!“ Kaum war der letzte draussen, soll Lina in die Gaststube gerufen haben: „Schang, hend die Buebe zahlt?…“ 😃
Heute vor genau hundert Jahren warb die Savonnerie Sunlight in der Schweizer Illustrierten für ihr Waschmittel Vigor. Zielgruppe? Ausschliesslich die Hausfrau.
Der Ehemann kehrt von der Arbeit nach Hause. Er hängt Mantel und Hut an die Garderobe, öffnet die Tür zum Wohnzimmer und lächelt seine Frau an, die pflichtbewusst seine Hemden bügelt. Diese Darstellung in einem Inserat in der Schweizer Illustrierten vom 4. Juni 1925 mag klischeehaft sein, doch die Rollenverteilung damals ist glasklar: Waschen und Bügeln sind Aufgaben des weiblichen Geschlechts.
→ Slogan: „VIGOR IST DIE ZAUBERKRAFT, DIE BLÜTENREINE WÄSCHE SCHAFFT.“ 🧼
Unterzeichnet ist das Inserat mit „Savonnerie Sunlight, Olten“.
Sunlight? Ältere Oltnerinnen und Oltner mögen sich erinnern. Die Produkte dieser Firma waren früher in vielen (Wasch-)Küchen und Badezimmern der Solothurner Kleinstadt präsent. Sei es in Form von Seife oder eben Waschmittel.
Von der Verwendung eines anderen Produkts als Vigor rät Sunlight im Inserat dringend ab. Denn: „Mit Schrecken sieht die Hausfrau kaum einen heilen Faden aus ihrer Wäsche zurückkehren.“ Für das eigene Waschmittel bedient sich die Inserentin hingegen eines gesteigerten Superlativs: Sie bezeichnet es als „das Vollkommenste", was es gibt! 😉